Politischer Jahresbericht Pakistan und Afghanistan 2004 / 2005

21. April 2008
Büro der Heinrich-Böll-Stiftung, Lahore
Regionalbüro Pakistan/Afghanistan

Der vollständige Bericht als PDF-Datei (26 Seiten, 88 KB)

Zusammenfassung

Die politische Lage in Süd- und Südwestasien, in der Pakistan und Afghanistan liegen, bleibt angespannt. In der Region konzentrieren sich militärische Nuklearkapazitäten – bei Indien und Pakistan, die nicht in internationale Kontrollmaßnahmen eingebunden sind. Zudem bestehen zwischen beiden Ländern langjährige und tiefgreifende Konflikte, darunter um das ehemalige Fürstentum Dschammu und Kaschmir, die bisher zu 3 Kriegen geführt haben. Darüber hinaus wird ein erheblicher Teil der Bedrohung durch den internationalen, islamistisch argumentierten Terrorismus auf die Region zurückgeführt. Trotz zahlreicher Gegenmaßnahmen seitens der internationalen Gemeinschaft und der Regierungen der betreffenden Länder existieren noch immer funktionierende militante Netzwerke, vor allem auf pakistanischem Gebiet, die nach Afghanistan bzw. Indien hineinwirken und die zudem auch global aktiv sind. Ein anhaltend hohes Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche wie auch soziale Krisenerscheinungen machen die Region zu einem Schwerpunkt internationaler Entwicklungspolitik. Sowohl Pakistan als auch Afghanistan sind durch politische Instabilität gekennzeichnet. Nach dem Ende des Afghanistan-Krieges 2001 zur Beendigung der Taliban-Herrschaft, hat der Wiederaufbau zwar Fortschritte gemacht, aber seine Ergebnisse sind noch keineswegs gesichert. Pakistan befindet sich in einem tiefgreifenden Umgestaltungsprozess, der von der Armee dominiert wird. In beiden Ländern wird um die Ausweitung von Partizipation für breitere Bevölkerungsschichten gerungen, während die Einrichtungen der Zivilgesellschaft auf unverändert große Schwierigkeiten stoßen. Daher kommt beiden Ländern und der Region als ganzes für Frieden, Sicherheit und Entwicklung im globalen Maßstab weiterhin erhebliche Bedeutung zu.

Pakistans Lage gilt in vielen Bereichen nach wie vor als problematisch und widersprüchlich. Einerseits hat die Musharraf-Administration eine Reihe neuer Reformen eingeleitet, um die wirtschaftliche und politische Lage im Land zu verbessern. Darüber hinaus hat Musharraf seine persönliche Position in der Politik stärken können. Er gibt im Wesentlichen unangefochten den Ton an. Andererseits stagniert die politische Situation in wichtigen Fragen. Das Militär hat nach wie vor nicht die Kontrolle über die Politik aufgegeben. Politische Ansichten, die den Interessen des Militärs zuwiderlaufen, können sich zwar über die Medien artikulieren, werden aber systematisch daran gehindert, sich zu organisieren. Übergriffe der Sicherheitskräfte und Menschenrechtsverletzungen in so verschiedenen Bereichen wie gegenüber Inhaftierten, gegenüber Frauen und bestimmten religiösen Minderheiten, scheinen sich kaum verringert zu haben, auch wenn der Staat versucht, in Einzelfällen symbolisch dagegen vorzugehen. Regierungsbemühungen, die politische und religiöse Gewalt, vor allem auch seitens islamischer Extremisten einzudämmen, gehen über inkonsequente Einzelmaßnahmen kaum hinaus. Pakistans Militärführung versucht weiterhin, einen Teil der militanten Gruppen von Restriktionen auszunehmen. Sie hofft, aus deren Aktivitäten in Kaschmir und z.T. auch in Afghanistan Nutzen ziehen zu können.

Außenpolitisch profitiert Musharraf von dem engen Zusammengehen mit den USA. Diese haben ihn zu einem wichtigen Verbündeten außerhalb der Nato (major non-NATO ally)1 erklärt. Er beteiligt sich weiterhin aktiv an der internationalen Koalition zur Bekämpfung des Terrorismus, wobei er sich jedoch vorbehält, selektiv vorzugehen gegen militante Kämpfer ausländischer Herkunft, v.a. des al-Qaida-Netzwerkes. Dazu gehören jetzt auch größere militärische Operationen an der Grenze zu Afghanistan. Unter massivem Druck der USA hat sich die Regierung bereit erklärt, ihre Nuklearpolitik zu modifizieren und bestimmte Restriktionen zu akzeptieren. Diese betreffen besonders die Prinzipien der Nichtweiterverbreitung und effektivere Sicherungsmaßnahmen für die militärischen Nuklearkapazitäten. Nach den massiven Spannungen der vorangegangenen Jahre haben Pakistan und Indien den Verhandlungsprozess wieder aufgenommen. Dieser hat zu ersten Regelungen und Fortschritten geführt, auch in der Kaschmirfrage.

Afghanistan hat im Berichtszeitraum 2004-05 einen deutlichen Schritt in Richtung Konsolidierung und Wiederaufbau gemacht. Wichtigste äußere Merkmale sind dafür die verabschiedete Verfassung und die ersten freien Präsidentenwahlen, aus denen der Übergangspräsident Hamid Karzai wie erwartet siegreich hervorging. Die politische Neuordnung des Landes steht gleichwohl erst am Anfang. Die politischen Kräfte sind weiterhin stark zersplittert, Karzai verfügt über keine eigene Partei. Die Paschtunen als große Bevölkerungsgruppe des Südens und Hauptstütze der Taliban sind politisch deutlich unterrepräsentiert. Das wirkt sich negativ auf die politische Stabilität aus. Das Problem einer politischen und gesellschaftlichen Integration der ehemaligen Taliban-Anhänger ist bisher nicht gelöst.

Gleichzeitig behindern ernste innere Probleme größere Fortschritte. Dazu gehören in erster Linie die nach wie vor prekäre Sicherheitslage, die Ausweitung des Drogenanbaus, Schwierigkeiten beim Einsatz der Hilfsgelder und der Durchführung der Hilfsprojekte sowie beim Wiederaufbau der Verwaltung und der Infrastruktur. Dabei geht es nicht nur um die Überwindung der Hinterlassenschaft der Taliban-Herrschaft sondern auch um die erstmalige Inangriffnahme grundlegender Entwicklungsprobleme in einem Land, das unverändert zu den ärmsten der Welt gehört. Die demokratischen Veränderungen haben jedoch auch erhebliche gesellschaftliche Energien freigesetzt, die sich in verschiedenen Gebieten widerspiegeln: bei der Beteiligung an den verschiedenen politischen Entscheidungen, bei der schrittweisen Eroberung des öffentlichen Raumes durch Frauen, bei der veränderten Rolle der Massenmedien, der wachsenden Aufmerksamkeit für Bildungsfragen und dem Interesse an wirtschaftlicher Unternehmertätigkeit.

Außenpolitisch stützt sich das Land auf enge Beziehungen zu den USA und die Pflege normaler Kooperationsverhältnisse mit den Nachbarstaaten. Gerade von letzteren waren in der Vergangenheit Versuche ausgegangen, die Ereignisse in Afghanistan für sich zu manipulieren. Hier bestehen auch weiterhin Probleme und Quellen von Unruheherden. Zwiespältig ist das Verhältnis zu Pakistan. Neben teilweise enger Kooperation im Kampf gegen Terroristen von al-Qaida und ausgedehnter wirtschaftlicher Zusammenarbeit betrachtet Afghanistan den Rückzug vieler Ex-Taliban-Kämpfer auf pakistanisches Gebiet mit Misstrauen und Sorge. Deutsche Organisationen und Institutionen haben sich stark beim Wiederaufbau engagiert. Das betrifft sowohl die politischen Rahmenbedingungen, symbolisiert in den beiden Afghanistan Konferenzen von Bonn (2001) und zuletzt Berlin (2004), aber auch den Einsatz von ca. 2000 Soldaten in den internationalen Streitkräften ISAF und den zwei Wiederaufbauteams in Nordafghanistan in Kunduz und seit Oktober 2004 in Feyzabad sowie eine Reihe weiterer Projekte u.a. bei der Polizeiausbildung und im Bildungswesen.

Insgesamt liegen die bisherigen Ergebnisse des Wiederaufbauprozesses zwar über den Erwartungen vieler Experten, die auch ein Scheitern nicht ausgeschlossen hatten, aber deutlich unter den Erwartungen der betroffenen Bevölkerung. Daher wird es verstärkter Anstrengungen bedürfen, den Wiederaufbau fortzusetzen. Die für September 2005 geplanten Parlamentswahlen werden dabei eine wichtige Zäsur darstellen.

Inhalt

1. Zusammenfassung

2. Zentrale Entwicklungen in der Region
2.1. Pakistan
2.1.1 Innenpolitik

  • Regierung und Militär
  • Parteipolitik und religiöse Parteien
  • Begrenzte Macht der Zentralregierung
  • Wirtschafts- und Sozialpolitik und Bildungswesen
  • Frauenpolitik und Lage der Menschenrechte

2.1.2 Außen- und Sicherheitspolitik

  • Kampf gegen den Terrorismus
  • Verhältnis zu Afghanistan 
  • Pakistanische Nuklearpolitik
  • Verhältnis zu Israel und Westeuropa

2.1.3 Regionalbeziehungen und das Verhältnis Pakistan - Indien
 
2.2 Afghanistan
2.2.1 Innenpolitik

  • Präsidentschaftswahlen und politischer Prozess
  • Wirtschaftspolitik
  • Sicherheitslage und Menschenrechte

2.2.2 Außenpolitik

  • Strategische Partnerschaft mit den USA
  • Verhältnis zu Pakistan, Indien und Iran

3. Ausblick

Lahore
Regionalbüro Pakistan, Anfang 2004 - Mitte 2005
Gregor Enste

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